Ein Hof und elf Geschwister by Frie Ewald

Ein Hof und elf Geschwister by Frie Ewald

Autor:Frie, Ewald
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2023-01-17T00:00:00+00:00


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«Ich weiß», erinnert sich Katharina, «dass zwei, drei Mitschülerinnen besonders rochen in der Schule. Und dann wusste ich, die kommen vom Bauernhof. Da hab ich immer gedacht, hoffentlich riech ich nicht so.» Anna erinnert sich, «dass irgendjemand in der Schule mal gesagt hat, du stinkst. Das hat mich vollkommen schockiert. Und ich weiß, dass ich danach immer ganz schnell gelaufen bin bis zum Fahrradraum und dann raus» – in der Hoffnung, dass ihr der Geruch von Tieren und Silage nicht anhaften würde, wenn sie nur schnell genug die Tenne überquerte.

Vier meiner Geschwister sprechen in ihren Interviews über Gerüche. Wilhelm erwähnt eher nebenher den Gestank des Schweineverladens. Paul wusste, dass vor allem im Winter, wenn Silage auf der Tenne lag, alle stanken, und andere das auch bemerkten. Er konnte das aber nicht ändern und nahm es daher hin. Für Katharina (Jg. 1954) und Anna (Jg. 1961) waren Gerüche ein Problem, und sie waren damit nicht allein. Zu viel Schweiß und der damit verbundene Körpergeruch könnten unangenehm sein, informierte das Landwirtschaftliche Wochenblatt Mitte der 1960er-Jahre. Zur Abhilfe wurden nicht Sprints empfohlen, die Anna in ihrer kindlichen Verzweiflung erprobte. Körperpflege mit Wasser und Seife seien wichtig, ebenso «das tägliche Brause- oder Wannenbad. … Die Grundlage jeder Bekämpfung von unangenehmen Körpergerüchen bleibt die persönliche Hygiene.»[26] Erst danach könnten auch «Deodorantien» zum Einsatz kommen.

Von diesen Hygienestandards waren wir in den 1960ern weit entfernt. Vor allem die Schwestern bemerkten, dass Gerüche darüber entschieden, wer dazugehörte und wer nicht. Und es waren die Bauern, die nicht dazugehörten. Die Jungen bemerkten andere kleine Differenzen mit großen Folgen. Gregor wurde von einem Lehrer in der Realschule immer wieder aufgefordert, die Namen der Kühe in unserem Stall aufzusagen: Rivale, Rebe, Rekta, Rentei, Waldlust, Ria, Rebekka, Wespe, Reda, Oktavia, Ruine und Werse.[27] Die Namen dachte sich mein Vater aus, im Rahmen einer Systematik, bei der etwa der erste Buchstabe eine Vererbungslinie anzeigte. Davon verstand der Lehrer nichts. Er hielt die Namen für eine von vielen bäuerlichen Absonderlichkeiten. «Das war beim ersten Mal noch witzig. Aber danach nicht mehr. Wenn du in Coesfeld zur Schule gehst, da sind die meisten Bauern nicht mehr in der Klasse», sagt Gregor. Die im Dorf, sagt Katharina, die «hatten es besser. Die mussten ja nicht so viel arbeiten. Die brauchten nicht so weite Wege machen. Und die konnten sich immer nachmittags mal treffen. Wenn wir mal ins Schwimmbad gingen, dann war ja auch Weihnachten und Ostern zusammen. Das war schon relativ selten. Außerdem konnten wir alle nicht schwimmen.» Die im Dorf bestimmten die Regeln. Die Bauernkinder mussten lernen, nach den Maßstäben des Dorfes zu leben, wenn sie dazugehören wollten. Welch ein Unterschied zu der Welt, in der meine ältesten vier Geschwister ihre Kindheit verbracht haben. Für sie hatten die Leute aus dem Dorf nicht gezählt. Die bäuerliche Gesellschaft war sich selbst genug gewesen.

Mechthild und Katharina sind Übergangsfiguren zwischen selbstsicherer Bauernwelt und einzelnen Kindern, die sich jenseits der heimischen Logiken im Dorf zurechtfinden mussten. Mechthild fand die Menschen aus Siedlung und Dorf schon interessant, machte aber ihren



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